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Fahrbericht Yamaha MT-01

von bikertouren.eu - 26.07.2012 - 0
 

von Ulrich HoffmannFotos: Claus Hermann / UliHo

 

Wer um Gottes Willen ist für dieses Motorrad verantwortlich? Ein Trumm von Motor, Linien, die traditionelle Werte ad absurdum zu führen scheinen. Ob die Yamaha MT-01 auch sonst ein großer Wurf ist, klärt unser Testbericht.

Noch nie war es wichtiger, Farbe zu bekennen. Gute Kompromisslösungen sind wichtige Argumente für objektive sinnvolle Lösungen, aber wer kauft schon ein Motorrad für 13.295 Euro nur aus Vernunftgründen? Wer ordentlich in die Tasche greift darf auch was erwarten. Charisma zum Beispiel. Die ersten Blicke werden wie von einem unsichtbaren Magneten auf den Motor gelenkt. Motor - trockene Worte für ein wahrlich beeindruckendes Werk Maschinenbau. Dieser luftgekühlte V2 ist ein Bagger. 150 Nm klingen toll, fühlen sich jedoch noch viel, viel besser an. Erst recht wenn man weiß, dass das maximale Drehmoment bereits bei 3.750 /min ansteht. Das was die MT-01 da ans Hinterrad schickt ist mit dem Begriff Drehmomentwelle fein untertrieben. Tsunami wäre da schon treffender.

Ab 1.500 /min ist das Prachtstück genießbar, ab 2.000 /min voll verwertbar. Wobei "voll" durchaus wörtlich zu nehmen ist. Weich, präsent, potent, aber nicht fordernd. Die MT-01 ist eine Offenbarung an alle, die sich von Leistung strotzenden Big Bikes überfordert sehen oder sich den Spaß am Motorrad fahren einfach anders vorstellen. Wer sich jetzt auf den Schlips getreten fühlt, mag sich auch in Zukunft mit 170 und mehr PS vergnügen. Stressfreier aber geht's mit den fulminanten 90 Pferdestärken der MT-01.

Yamaha umschreibt den V2-Herzschlag mit Kodo. Ein tiefer, satter Bass, der wie Balsam auf des Fahrers Seele wirkt. Dieses Konzept passt in unsere Zeit, weil Kodo wie eine Antistresspille wirkt. Die Nenndrehzahl liegt bei niedrigen 4.750 /min an. In der Praxis dreht man nur auf der Autobahn oder kurzen Beschleunigungsorgien über 4.000 /min. Dabei werden derlei Szenarien von einem Sound untermalt, der für eine Gänsehaut sorgt. Es patscht beim Gaswegnehmen, es wummert, wenn die jeweils 97 Millimeter großen Kolben zum großen Halali ausholen. Runterschalten? Vergiss' es. Hahn auf und Festhalten. Störend wirkt sich lediglich der große Sprung zwischen dem zweiten und dritten Gang aus. Nicht beim Hochschalten, schon eher beim strammen Anbremsen vor einer Kurve. Die Motorbremse haut dann mächtig rein und kann bei sportlicher Fahrweise das Hinterrad durch Stempeln sanft aus der Spur bringen. Das Bremsmoment des 1.670 ccm großen Zweizylinders ist üppig, dennoch steckt die MT-01 derlei Eskapaden beachtlich locker weg.

Sie will souverän bewegt werden. Lieber einen Gang zu hoch als einen zu niedrig. Dem Motor ist's eh wurscht und der Dynamik tut's keinen Abbruch. Auch wenn man der Yamaha auf den ersten Blick wenig sportliche Züge zutraut: mit dem Ding lässt es sich trefflich brennen. Lässig, entspannt, cool - das ist der Spaß, den andere mit dem Messer zwischen den Zähnen vielleicht mal ausprobieren sollten. Nicht auf der Rennstrecke, dafür auf öffentlichen Straßen. Dort ist es eine Wonne, sich vom Drehmoment tragen zu lassen - alles andere wird zur Nebensache. Lastwechsel sind kaum spürbar. Dabei ist die Gasannahme für einen solch großen Zweizylinder überraschend spontan. Die vierzylindrige Sportfraktion mag ruhig weiterschmunzeln, denn Hektik ist der Yamaha völlig fremd. Was nicht heißen soll, dass man es mit ihr nicht ordentlich fliegen lassen kann. Ganz im Gegenteil.

Wer beherzt am Quirl dreht braucht standfeste Bremsanker. Die beiden vorderen Radialzangen stammen von der R1, genauso wie die nur leicht modifizierte Hinterradschwinge. Das Ganze funktioniert prinzipiell wunderbar, doch wandert der Druckpunkt nach einigen harten Bremsmanövern zunehmend zum Lenker. Klare Sache also, die MT-01 hat sportliche Qualitäten, ist jedoch kein ultimatives Heizeisen. Daran ändert auch die edle Radialpumpe am schönen Rohrlenker nichts.

Dabei sind die Handlingeigenschaften für einen rund 260 Kilogramm schweren Boliden beachtlich. Mehr als das. Zielgenau lässt sich die Yamaha selbst durch enge und engste Radien zirkeln - kaum zu glauben bei einem Radstand von 1.525 Millimetern. Die komplett verstellbare Upside-Downgabel spricht feinfühlig an, Kickback-Gedanken kann man getrost vergessen. Grundsätzlich geriet die Abstimmung sportlich-komfortabel. Goldrichtig also für den zünftigen Ritt über Landstraßen aller Art. Bei allem Lob nervt jedoch das etwas zu weich abgestimmte Zentralfederbein am Heck und fordert zu einer Nachjustierung auf. Das allerdings ist leichter gesagt als getan, da die Zugänglichkeit dem gewöhnlichen Biker Schweißperlen auf die gerunzelte Stirn treiben kann.

Mit 32er-Schraubenschlüssel und Schlitzschraubendreher bewaffnet nehme man rechtsseitig unter dem Motorrad liegend Platz. Passt alles trotzdem nicht, weil ein handelsüblicher Schraubenschlüssel zu lang und die Kombi-Dämpfung für Zug- und Druckstufe sowieso eine Sache für sich ist. Quintessenz: wir haben das Werkzeug nach einigen Minuten schnell wieder in die Kiste gelegt und uns damit abgefunden, dass die MT-01 ein Allrounder ist. Der breite 190/50-Pneu am Heck macht in Anbetracht des zu übertragenden Drehmomentes Sinn, da das Beschleunigen aus Schräglagen heraus mit diesem Bike ein ganz besonderer Genuss ist. Etwas störend ist da nur das Aufstellmoment am Hinterrad beim Überfahren von Bodenunebenheiten. Dafür geht die Trockenhaftung der serienmäßig montierten Metzeler Z4 vollauf in Ordnung. Wer vehement in die Kurven reinhält, wird ein leichtes Untersteuern über das Vorderrad feststellen - kein Wunder, bei dem mächtigen Motor.

Das Spektrum der MT-01 ist riesig. Auch bei sportliche Einlagen stellt sie sich nicht quer und pflügt willig selbst durch engste Radien.

Insgesamt überzeugt das Fahrwerk jedoch durch eine ausgezeichnete Balance. Beeindruckend, wie rabiat man mit diesem Motorrad umgehen kann, ohne dass man gleich mit störrischen Aktionen konfrontiert wird. Die Schräglagenfreiheit lässt genügend Spielraum zum Herumtoben. Erst spät mahnen die Fußrastennippel zur Zurückhaltung - und wenn sie doch mal über den Asphalt raspeln, ist man schon ziemlich derbe unterwegs. Was passt da besser, als der dumpfe Bollersound aus den beiden hoch gelegten Titan-Tröten links und rechts neben dem Diodenrücklicht? Damit's dem Sozius nicht allzu warm wird, befindet sich im Rahmenheck ein Lüfter. Klagen wegen eines heißen Hinterteils kamen von unserem Testsozius jedenfalls nicht.

 

Mit welch hohem technischen Anspruch die MT-01-Macher ans Werk gingen, zeigen Konstruktion und deren Umsetzung. Um die Unterhaltskosten zu reduzieren, verfügt der 48°-V2 mit insgesamt acht Ventilen über einen hydraulischen Ventilspielausgleich. Die ellenlangen Stößelstangen der OHV-gesteuerten Kraftmaschine verschwinden hinter unterarmdicken Metallhülsen, die aussehen, als würde sich darin je eine Königswelle drehen. Der linksseitig laufende Zahnriemenantrieb des zeitgeschichtlichen Vorfahren Road Star Warrior wird von einem rechts laufenden und deutlich kompakteren Kettenantrieb ersetzt. Auch die Innereien mussten umfangreichen Modifikationen über sich ergehen lassen (siehe BIKERs JOURNAL, Ausgabe 13-2004, Technik).

Ein Augenschmaus ist die Verarbeitung: Lack- und Chromqualität sind erste Sahne, Schraub- und Schweißverbindungen qualitativ vorbildlich umgesetzt. Nur der Gasgriff, der könnte ruhig etwas leichtgängiger zu bedienen sein - auch wenn man sich nach kurzer Zeit daran gewöhnt hat.

Verzichtet man auf urlaubstypische Ansprüche wie Tankrucksack, Koffer und Gepäckträger, kann man der Yamaha sogar eine gewisse Alltagstauglichkeit nicht absprechen. Die 825 mm hohe Sitzposition ist bequem konzentriert, Lenkeinschlag und Rücksicht in den Spiegeln großzügig. Lediglich der schicke Scheinwerfer könnte die Fahrbahn heller ausleuchten. Dafür fällt die Hell-/Dunkel-Grenze angenehm weich aus.

Der fehlende Wind- und Wetterschutz gehört zum Konzept - das ist nun mal so. Für den Regen ist die MT-01 sowieso viel zu schade. Beim Autobahn fahren stellt sich schon nach kurzer Zeit die 140er-Marke als ideale Reisegeschwindigkeit heraus. Darüber nimmt der Winddruck doch Kräfte zehrende Ausmaße an. Weiter steigt der Verbrauch - mitunter auch aufgrund der recht kurzen Übersetzung - dann spürbar an. Im Durchschnitt presst die G-Kat bereinigte MT-01 6,5 Liter Normalbenzin auf 100 Kilometer durch die Einspritzdüsen. Weniger als 5,8 Liter haben wir nicht geschafft, maximal waren's 9,4 Einheiten.

Fast vergessen wurde bei den intensiven Eindrücken die Angabe der Höchstgeschwindigkeit. 210 km/h gibt der Hersteller an, 214 Sachen zeigte die Digitalanzeige im riesigen Rundinstrumentarium. Mehr als genug und für ein solches Erlebnis ziemlich nebensächlich. Denn immer wieder drängt sich dieser fantastische Motor in den Mittelpunkt des Geschehens. Bei dem fulminanten Durchzug vermutet man eine Leistung locker im dreistelligen Bereich. Glückwunsch, ihr Kodo-Trommler und -Ingenieure. Dieses Gerät ist eine Wucht.

FAZITEin Tank muss nicht nur ein Tank sein - im Fall der Yamaha MT-01 ist der jedenfalls herrlich geformt und top verarbeitet. Wie ein gespannter Bogen wölbt er sich über das, was in Sachen Dominanz und Akzentur seinesgleichen sucht: dem mächtigen V2-Aggregat. Okay, es gibt Motoren mit noch größerem Hubraum, und es gibt noch weitaus Leistung stärke Triebwerke. Doch gibt es bis dato kein derart modern-minimalistisches und gleichzeitig drehmomentstarkes Big Bike-Konzept, bei dem die nutzbare Fahrbarkeit so wenig unter dem äußeren Kostüm leidet, wie im Fall der MT-01. Lässt man die Punktewertung einmal außer acht, missfällt in der Praxis am meisten die unkomfortable Abstimmung des Zentralfederbeins sowie das Aufstellmoment in Schräglage bei Bodenunebenheiten. Nach Punkten fällt hingegen der wenig rühmliche Soziusplatz negativ ins Gewicht. Tja, und am Ende will das alles auch noch bezahlt werden. Mit 13.295 Euro eine Angelegenheit, die sich nicht jeder leisten kann. Das Vergnügen, über Landstraßen zu surfen ist allerdings ein ganz Besonderes, genauso wie der tiefe Blick zwischen die Kühlrippen. So gesehen, ist die MT-01 ihr Geld wert. Vielleicht sogar mehr als das.